Der Pegel steigt

DIE FLUT
Unheimliche Begegnung in Prag

Prag ist wunderschön. Zumindest wenn man noch nie da war. Oder wenn man Prag ganz besonders mag. Wenn man allerdings schon öfter in Prag gewesen ist, ohne die Stadt ganz besonders zu mögen – auch dann ist Prag wunderschön. Nur eben nicht mehr aufregend. Warum ich also vom 9. bis 18. August nach Prag gefahren bin, hat offensichtlich andere Gründe: Nicht Prag ist es, was ich besonders mag; es sind vielmehr international-europäische Austausche bzw. Begegnungen, die ich besonders mag. Das sind, mal abgesehen von der Leipziger Uni-Cafeteria, verhältnismäßig preiswerte und darüber hinaus überaus angenehme Möglichkeiten, mit jungen bis mitteljungen Leuten verschiedenster Länder in Kontakt zu kommen und miteinander unterhaltsame, spaßige Tage zu verbringen. Was man mit den vielen Adressen und Telefonnummern macht, die man dabei sammelt, ist natürlich jedem selbst überlassen. Manchmal aber ergeben sich langjährige Bekanntschaften; manchmal trifft man bei späteren Workshops oder Besuchen Leute von früheren Austauschen und Workshops auch wieder – und hat einfach eine schöne Zeit zusammen.

Also: Prag. Eingeladen waren wir von der DUHA, unserer tschechischen Partnerorganisation. Inhaltlich drehte sich die Begegnung um den Ursprung der europäischen Kultur und das Entstehen der ersten Staaten in Europa, um das Jahr 1000. An der Begegnung nahmen, außer uns, noch teil: fleißige Polen, trinkfeste Schotten, sehr nette Tschechen, äußerst nette Niederländer, überaus nette Italiener, und Franzosen. Die waren auch sehr nett, zumindest sahen sie so aus: Mit Franzosen hat man ja meistens das Problem, da Franzosen zwar sehr gut französisch sprechen, dafür andere Sprachen überhaupt nicht. Und leider bin ich eben des Französischen nicht mächtig.

Das Programm hatte, aufgrund des Themas, den Besuch mehrerer Kulturgüter vorgesehen: linke Burg, recht Burg, Burg Karlstein, ein Kloster, noch ein Kloster, ein drittes Kloster…, wovon ich allerdings wenig mitgenommen habe. Das lag freilich nicht nur am nur mittelgroßen Interesse meinerseits, sondern zum größten Teil an: Der Flut! Die hatte schon 3 Tage nach unserer Anreise, dazu geführt, dass der größte Teil der tschechischen Jugendlichen – vielleicht zur Haus- und Heimrettung – nach Hause verschwunden war und somit die ganze Woche auch nicht mehr zur Verfügung stand.

Von der Flut hatten wir zunächst überhaupt nichts mitbekommen. Wir waren ja sozusagen ahnungslose, frohe Jugendaustauschjugendliche in Prag: Stadtrundgehen, gegenseitig Kennenlernen, Workshops, Kulturgüter ankucken, etc…

Die Flut äußerte sich uns gegenüber zunächst in vorhergehenden, tagelangen Regengüssen. Für einige war der Regen etwas, womit sie nicht gerechnet hatten. So waren z.B. die Italiener offensichtlich unzureichend ausgerüstet: Jeder von ihnen hatte 2 Paar Schuhe dabei. Das eine war gleich am ersten Regentag durchnässt; das andere waren Sandalen…

Der starke Regen allein gab uns noch keinen Anlass zur Sorge, denn – ich schwöre – noch jedes Mal, dass ich in Tschechien war, gab’s Dauerregen für ein paar Tage! Doch dieses Mal war der Regen um etliches schlimmer, und so kamen die Fluten auch die Moldau hinunter auf Prag zu geschossen. Am Montagmorgen, wurde die erste große Welle mit kontinuierlichem Sirenengeheul begrüßt. Plötzlich, für uns ein wenig überraschend, ging gar nichts mehr. Von überall wurde Sand herbeigeschaufelt, Polizisten entrollten Bänder und ihre Arme, um den Durchgang zu verwehren; und die Lautsprecher-Stimme in der U-Bahn bat uns kontinuierlich: Please stay calm under all circumstances. Das Kloster, dass wir uns für den Tag vorgenommen hatten, war natürlich geschlossen. Wegen Hochwasser. Obwohl das Kloster auf einem Berg über der Stadt lag. Im übrigen war das auch das Hauptsächliche, was wir von der Flut mitbekommen haben: „Geschlossen.“ 3 Tage ging kaum etwas in der Innenstadt Prag. Die Brücken waren geschlossen, die Geschäfte, die Cafes, die Restaurants. Vom Hochwasser in Prag hingegen haben wir so gut wie gar nichts gesehen: Bloß eine sehr sehr volle Moldau. Eigentlich ist es paradox, aber auch eine ganz normale Erscheinung: Ist man vor Ort, bekommt man meist weniger mit, als zu Hause vor dem Fernseher.

Ach ja: Natürlich waren wir auch dieses Mal wieder Schießen: .357 Magnum, 9mm Automatik, KK. Die Tschechen scheinen wirklich hochgerüstet zu sein. Zumindest war dies mein Eindruck, als ich mich mit einem Besucher des Schießstandes – er gehörte nicht zu unserer Gruppe und war Sportschütze – unterhielt. Dieser hatte nämlich 3 Handfeuerwaffen dabei: Eine ausgeliehen, eine zog er aus seiner Sporttasche, und die dritte hatte er hinten in der Hose (!) stecken. Ganz normal sei das, versicherte er, man dürfe eben in Tschechien geladene (!) Waffen mit sich herumtragen – mhh, ich weiß nicht…

Unseren kleinen internationalen Schießwettbewerb haben im übrigen die Tschechen gewonnen. Die mit Abstand beste – 175 von 200 möglichen Punkten – war eine Tschechin, ein kleines, schmales, 18jähriges, vollkommen harmlos, wenn nicht gar unschuldig aussehendes Mädchen. Sie hatte nach eigener Aussage noch nie geschossen…

Wort und Bild: Thomas Mock