Kein Chef, den man erst fragen muss
Existenzgründer Tino Anton

Tino Anton ist 27 Jahre alt und seit 2007 selbstständig. Er betreibt in der Mühlhäuser Pfortenstraße 18-19 das Tattoo- und Piercingstudio ARTIFEX. JiM – Das Magazin wollte wissen wie es ist, schon mit jungen Jahren beruflich auf eigenen Beinen zu stehen und hat Tino bei der Arbeit über die Schulter geschaut.

Wie ist es dazu gekommen, dass du dich selbstständig gemacht hast?
Als gelernter Raumausstatter war es nicht einfach sich weiter zu entwickeln. Ich hätte Abitur machen müssen und dann Innenarchitektur studieren können. Als Arbeitnehmer weiterarbeiten zu müssen konnte ich mir langfristig nicht vorstellen. Da meine berufliche Situation damals am Boden war, ich eher ein angespanntes Verhältnis zu Vorgesetzten habe und mir kreative Sachen liegen, beschloss ich etwas eigenes auf die Beine zu stellen. Als ich dann arbeitslos wurde, gab mir das den letzten Anstoß dafür. Ich begann T-Shirts zu designen und an Freunde zu verkaufen. Kurz darauf entdeckte ein Tätowierer mein Talent und fragte mich, ob ich Lust hätte, bei ihm tätowieren zu lernen. Klar, dachte ich. Und zwei Standbeine sind eh besser als eins.

Was machst du genau und welche »Qualifikation« hast du, um das zu tun, was du tust?
Mittlerweile tätowiere ich hauptberuflich und vertreibe die T-Shirts nur noch nebenbei. Eine »Qualifikation« gibt es in diesem Beruf nicht. Entweder du hast etwas drauf und kannst es, oder du bist ein ewiger Stümper mit falschen Ansichten von Kunst. Ich war schon immer kreativ und hatte Talent zum Zeichnen. Das habe ich in Kursen bei der VHS und im Kunsthaus verfeinert. Tätowieren habe ich anfangs auf einem Stück Kunstleder geübt. Dann kamen die ersten Freunde, die sich als Übungsobjekte zur Verfügung stellten. Bis jetzt haben sie ihre Tattoos alle noch!

Was haben deine Eltern und Freunde dazu gesagt, als sie erfuhren, dass du dich selbstständig machen willst?
Na meine Freunde fanden es natürlich gut einen Kumpel zu haben, der Tätowierer ist. Die lieben Eltern sind recht locker damit umgegangen. Ich denke, sie wollten einfach das ich mich ausprobiere. Wir haben ein gutes Verhältnis und sie haben Vertrauen in meine Fähigkeiten.

Hattest du Probleme auf dem Weg in die Selbstständigkeit?
Ja, riesen Probleme mit der Agentur für Arbeit. Während die Arbeitsvermittler echt eine Hilfe waren und mir ein langes Praktikum ermöglicht haben, hat die Leistungsabteilung meinen Existenzgründerzuschuss falsch berechnet. Es gab ein ewiges hin und her. Letztendlich wurde mir zu viel überwiesen und ich durfte den ganzen Kram zurück zahlen. Auf Antrag in Raten – die Guten!

Hat dich jemand bei der Gründung unterstützt?
Ja. Guido Dölle von Enterprise Thüringen hat sich sehr für alles eingesetzt, ohne einmal daran zu zweifeln. Bei Enterprise hab ich auch die Existenzgründerseminare besucht. Außerdem haben mich viele Freunde unterstützt, die schon selbstständig waren, und andere Tätowierer, die mir das Handwerk beigebracht haben.

Wie läuft dein Geschäft und welche Schwierigkeiten gibt es?
Das Geschäft läuft gut. Wir haben uns etabliert und zufriedene Kunden. Es gab Preise für unsere Arbeiten auf Conventions und im Laden herrscht ein angenehmes Arbeitsklima. Schwierigkeiten gibt es auch hin und wieder, aber die sind nicht so weltbewegend. Mit ’nem ruhigen Händchen lösen die sich fast von selber.

Was gefällt dir an der Selbstständigkeit, was nicht?
Vor allem gefällt mir, dass es seit dem noch keinen einzigen Tag gab, an dem ich nicht gerne auf Arbeit gegangen bin! Dann ist es natürlich schön, selber zu entscheiden, was richtig und was falsch ist und kein Chef da ist, den man erst fragen muss. Allerdings muss man auch viel arbeiten und darauf achten, dass die anderen Sachen, die einem wichtig sind, nicht darunter leiden. Tätowieren und künstlerisch tätig zu sein bedeutet mir alles. Ohne diese freie Entfaltung möchte ich nicht mehr leben! An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen bedanken, die uns ihr Vertrauen schenken, um sich von uns verschönern zu lassen! Vielen Dank auch an Freunde und Familie und an alle ersten »Versuchskaninchen«!

Hast du einen Tipp für junge Menschen, die sich auch gerne eine eigene Existenz aufbauen möchten?
Lasst euch vorher beraten und versucht nicht auf Teufel komm raus das Ding alleine durchzuziehen! Hört auf Leute, die Plan haben. Und vergesst eure Wurzeln nicht!

Was kannst du Menschen empfehlen, die sich gern tätowieren lassen möchten, aber sich nicht sicher sind, ob der Tätowierer oder das Studio OK sind?
Nehmt euch Zeit! Hört auf Mundpropaganda und auf Empfehlungen von Freunden. Schaut euch die Tattoos auf euren Freunden und die Arbeiten der Tätowierer genau an. Achtet darauf, dass die Linien gerade, die Farben satt und die Schatten realistisch sind. Achtet darauf, dass das Studio sauber ist, der Tätowierer mit Einwegprodukten und -handschuhen arbeitet und diese auch regelmäßig wechselt. Und sucht das persönliche Gespräch mit dem Tätowierer, auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Die Chemie zwischen euch muss stimmen, ansonsten sucht euch gleich jemand anderen!

Mehr Bilder von Tino’s Arbeiten gibt’s im Internet unter: www.artifextattoo.de

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in:
JiM – Das Magazin, Ausgabe 29, Juni 2010.