Der Pianist ohne Gedächtnis
Ein Krimi von Henner Kotte

„Die Kollegen der Leipziger Mordkommission begeben sich ins zwischenmenschliche Chaos… Und auch die Kommissare haben es zwischenmenschlich nicht leicht. Risse im Leben der Beteiligten sind das Mindeste, was bleibt.“

So weiß es der Text auf dem Buchrücken.

Zwei Fälle haben die Leipziger Kriminalisten in diesem Gegenwartsroman zu lösen. Hinzu kommt als originelle und nicht so ganz ernst zu nehmende Einlage die Sache mit einem Hündchen und seiner betagten Besitzerin, die sich keinesfalls bürokratischen Vorschriften zu beugen gedenkt. Doch stellte sich die Rezensentin mitunter die Frage, ob sie ein Buch in den Händen hielt, das vordergründig das Privatleben der Ermittler zum Inhalt hat.

Henner Kotte folgt dem Trend, der sich bereits seit einiger Zeit in der aktuellen Kriminalliteratur und in Kriminalfilmen breit zu machen anschickt. Der lautet: Kriminalisten sind auch Menschen. Sie haben ein Privatleben, manche haben ein Familienleben, sie haben Sorgen und Probleme wie du und ich. Aber sie haben auch noch – das ist jetzt, zugegeben, ketzerisch formuliert – einer Arbeit nachzugehen.

Der Rezensentin scheint das Private etwas zu dick aufgetragen, es sei denn, der Autor kann überzeugend nachweisen, gewollt Mittel der Satire und der literarischen, künstlerischen Überhöhung eingesetzt zu haben. Urteil nach dem Lesen: Weniger wäre mehr gewesen.

Da hadert der neu berufene Kriminaldirektor mit Gott und der Welt und mit seinem Leben sowieso. Einen Vorteil haben die Besuche bei seiner Stammhure allerdings: Oksana bringt ihn in einem der beiden komplizierten Fälle sogar locker plaudernd auf die richtige Spur. Aber wer wird denn wohl Dienstliches ausplaudern?

Kommissarin Schabowski, die sich nicht die Bohne aus dem Herrn Kriminaldirektor macht, fiebert schon beim Aufstehen dem Feierabend entgegen, den sie mit dem Mann ihrer Wahl im Bett zu verbringen gedenkt, selbstverständlich nicht mit erholsamem Schlaf.

Kriminalist Kohlund erlebt unruhige Tage. Seine Frau, ungewollt noch einmal schwanger geworden, sperrt sich gegen ein spätes Kind. Sie ist Mitte Vierzig, er Anfang Fünfzig.

Kriminalist Mergenthin kämpft verbissen und eisern darum, endlich wieder die richtige Anerkennung im Beruf zu erhalten, draußen an der Basis ermitteln zu dürfen. Seit er im Rollstuhl sitzt, wird er zur Büroarbeit verdonnert. Grischa Mergenthin ist schwul. Ja und?! Er hat einen Partner – und auch das sollte in der Gegenwart normal und nichts Besonderes sein. Aber warum schickt ihn der Autor hintereinander und dann sogar gleichzeitig mit zwei Herren ins Schlafgemach? Nach Autoren-Willen trifft Mergenthin nämlich in Ausübung seines Berufes seinen Ex-Partner wieder. Bei so viel Privatsphäre und menschlichem Durcheinander werden dennoch beide Kriminalfälle gelöst, beide mit verblüffendem Ausgang.

Eines noch: Es mag am Jahrgang der Rezensentin liegen. Sie ist in einer Zeit erwachsen geworden, in der es als ungebildet und ordinär galt, in der Öffentlichkeit das Wort mit dem Buchstaben F am Anfang zu verwenden. Das Wort, das eine Tätigkeit beschreibt, die häufig, aber nicht nur, im Bett ausgeübt wird, jedoch mit Schlafen absolut nichts zu tun hat. Gezählt hat sie nicht, wie oft dieses heute salonfähige Wort im Buch vorkommt.

 

Wer bereit ist, alles hier in dieser Rezension Bemängelte nicht überzubewerten und seine Konzentration auf die Aufklärung der beiden Kriminalfälle zu richten, wird nicht enttäuscht sein.

 

Christine Bose
Dipl.-Journalistin

 

Henner Kotte
Der Pianist ohne Gedächtnis
Krimi
320 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-95462-335-8
Preis: 9,95 Euro
mdv – Mitteldeutscher Verlag