Zwangsjacke Mühlhausen
Jugendliche wollen Räume zum Denken und Leben schaffen

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ (Sokrates, gr. Philosoph, 470-399 v.Chr.)

„Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entse lich anzusehen.“ (Aristoteles, gr. Philosoph, 384-322 v. Chr.)

Diese Charakterisierungen der Jugend würde auch heute noch ihre Unterstützer finden, obwohl sie bereits mehrere hundert Jahre alt ist. Gerade der Vorwurf der Passivität wird gern von den Vorgängergenerationen auf die Jugend projiziert.

Jede Jugend sucht daher ihren „Platz“, die Chance sich zu beweisen, sich ein Aufgabenfeld zusuchen. Die Generation Praktikum findet langsam ihre Jobs und die Apple-Generation muss ohne Jobs klarkommen. Für jede Jugend spielen dabei auch ihre Kulturen eine entscheidende Rolle. Besonders Mode/Stile und Musik werden in Jugendbewegungen zu elementaren Bestandteilen. Die hoch differenzierten Jugendkulturen spiegeln facettenreich eine bewegte und flexible Jugend wieder.

In der Tat schließen sich lediglich 20 bis 25 % der Jugendlichen wirklich einer Jugendbewegung an, sind also ein „Vollblutpunk“ oder „Vollblutskater“. Trotzdem ist der Einfluss dieses Viertels der Gesamtjugendlichen äußert hoch. Für seine übrigen Altersgenossen fungieren sie als Art Avantgarde, Meinungsbildner, kulturelle Vorbilder. Auch wenn sich dreiviertel der Jugendlichen nicht explizit einer Jugendbewegung zuschreiben orientieren sie sich an ihnen. Diese Orientierung erfolgt nicht nur aus  modischen oder Lifestyle-Gründen, sondern kann auch auf die ästhetisch, bildende Dimension zurückgeführt werden.

In der AG „Jugendkulturen“ des Tilesius-Gymnasiums versuchen 14 SchülerInnen über die Analyse verschiedener Jugendstile, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu deuten. Dabei stehen vor allem Jugendkulturen im Mittelpunkt, die sich der Punk-Philosophie verschrieben haben. Sie werden auf ihr gesellschaftliches Beteiligungspotenzial hin analysiert, um aufzuzeigen, dass in einer pluralistischen Demokratie alle Bevölkerungsgruppen zu Wort kommen müssen. Demokratie kann sich nicht an manifesten Wahrheiten orientieren, sondern muss mit seinen Mitgliedern eine jeweils bestehende Wahrheit aushandeln. Ziel ist es, sich selbst in verschiedenen Aktionen auszuprobieren und sich gestalterisch am Leben in Mühlhausen zu beteiligen.

Bei der Umsetzung werden die SchülerInnen von dem Jugendprojekt Boje unterstützt. Als Slogan für ihr Vorhaben wählte die Arbeitsgruppe „Zwangsjacke Mühlhausen – Räume zum Denken, Räume zum Leben, can´t touch this“. Die Themen der einzelnen Aktionen kreisen vor allem um das Gefühl der SchülerInnen, keinen Platz in Mühlhausen zu haben. Um dem entgegen zu wirken und selbst gestalterisch tätig zu werden, organisieren die Schüler eigenständig Konzerte, gestalten eine D.I.Y. (do it yourself – mach es selber) Modekollektion, erstellen ein Fanzine, gestalten vegetarische Tage im Schülercafé und entwerfen eigene Protestaktionen (z.B. unsichtbares Theater, Streetart, Buchlesungen usw.) zu selbst gewählten Themen.

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in:
JiM – Das Magazin, Ausgabe 36, Dezember 2011.