Sonderbar
Wie ein alter Mann seine Nachtmütze verlor. Teil 6 und Schluss

Das Ende eine abgefahrene Bettgeschichte über die seltsamen Erlebnisse eines alten Mannes. Teil 6. Von Norman Weitemeier.

Das Bett kippt zum Fußende hin ab. Der alte Mann wünscht, er hätte ein Haus mit einer schmaleren Treppe gekauft.

Im ersten Augenblick muss der Mann sich festhalten, um nicht vornüber zu kippen, dann hat er sich an die Schräglage gewöhnt. Interessant ist dabei die Perspektive; schließlich ist er den Blick nur aus waagerecht stehenden Betten gewöhnt. Stufe um Stufe geht es abwärts, wobei das Bett eher zu schweben als zu fahren scheint, denn es gibt fast gar keine Erschütterung.

Plötzlich, der alte Mann begreift es zunächst gar nicht recht, zu unwahrscheinlich ist ausgerechnet dieses Ereignis, mit dem er eigentlich, wie er jetzt feststellt, zu diesem Zeitpunkt noch nicht gerechnet hatte, wie er aber auch mit dem gesamten bisherigen Verlauf des Abends nicht gerechnet hatte, fast kommt es ihm surrealer vor als die gedankliche Dunstwolke, in deren Form er noch vor wenigen Minuten eine Landschaft von bezaubernder Schönheit um sich, also die Wolke, erdacht hat; und beinahe ist es so, als würde er regnen und wieder in den See zurückfallen, aus dem er aufgestiegen wäre, und somit gleichermaßen zurückfallen in sein Schlafzimmer, gleichbedeutend mit der Vergangenheit – Wäre dort jetzt in der Vergangenheit noch sein Bett? – hält sein Bett an. Es steht still.

Er muss sich jetzt fragen, ob das Bett, da er es zwecks Erhalt seiner Würde als denkend akzeptiert hat, mit Absicht stehen blieb oder vollends aufgehört hat, zu denken, ja er muss sich auch fragen, ob es vielleicht schon seit jeher denkt und nur auf den passenden Moment gewartet hat, loszufahren. Weshalb dabei die Beschränkung auf einen Moment? Warum nicht demnächst wieder?

Zögerlich steigt er aus dem Bett. Er sieht das Foto seines ungeliebten Onkels vor sich an der Wand hängen und entschließt sich spontan, die günstige Gelegenheit zu nutzen, während die Naturgesetze vermutlich wieder gelten, nimmt das Bild, das einzige Foto, das noch hängt, denn auch seine Frau wollte es damals nicht haben, von der Wand und wirft es über das Treppengeländer ins Erdgeschoss, wo das Glas zersplittert, der Rahmen bricht und sein Onkel, würde er noch leben, denken würde, es habe den Falschen getroffen oder zumindest das falsche Bild.

Der alte Mann ist müde. Er sieht sich um. Am hinteren rechten Bettpfosten hat sich etwas verfangen: Seine Nachtmütze, seine Angst. Er verwirft die kurzzeitig aufgekommene Idee, seine Nachbarn oder ein Umzugsunternehmen zu bitten, das Bett wieder ins Schlafzimmer zu schaffen; es wäre ihm peinlich, die entstandene Situation erklären zu müssen, was er nicht im Mindesten konnte. Sein Bett muss bleiben, wo es ist. Er allein kann es nicht bewegen, wenn es woanders stehen will, kann es ja dorthin fahren, denkt sich der Mann.

Er legt sich wieder ins Bett.

„Warum legt er sich wieder ins Bett?“

„Ich vermute, er tut das, damit er wenigstens dabei ist und mitkommt, falls es wieder abfährt.“

„Sind Sie sicher?“

„Nein“

Der alte Mann hofft, dass sein Bett irgendwann wieder fahren wird, nicht um des Fahrens willen, sondern, damit er die Nachtmütze wieder verlieren kann.