Sonderbar
Wie ein alter Mann seine Nachtmütze verlor. Teil 5

Eine abgefahrene Bettgeschichte über die seltsamen Erlebnisse eines alten Mannes. Teil 5. Von Norman Weitemeier.

Der neutrale Zuschauer, so es ihn geben würde, betrachte die sich ihm darbietende Situation mit Verwirrung, denn jenem eigentlich abwesenden Zuschauer sind die Kausalitäten des Geschehens nicht bekannt, geschweige denn die Tatsache, dass die Bewegung des Bettes nach bisheriger Erkenntnis ausschließlich auf völligem Unsinn beruht.

Da es allerdings keinen solchen neutralen Beobachter gibt und auch sonst die Zahl der Handelnden auf den alten Mann in seinem Bett beschränkt ist – wobei sich selbstverständlich die Frage stellt, inwieweit der Alte überhaupt aktiv eingreift, aber immerhin reagiert er ja auf die Gegebenheiten, mit denen sein Bett ihn konfrontiert und selbst einen neutralen Beobachter würde, oder könnte, dies beruhigen, da die Reaktion auf äußere Umstände doch stets ein Zeichen der Lebendigkeit ist -, entstammen alle Erkenntnisse aus nur einem Hirn. Und wird wohl jemand einen geäußerten Gedanken als wahrheitsgemäß anerkennen, wenn dieser Gedanke dem Gehirn eines Menschen entstammt, der von sich gesagt haben wird, er habe sich einmal in einem, ja noch dazu seinem eigenen Bett befunden und dieses habe sich auf wundersame Art und Weise in Bewegung gesetzt?

Der Mann fühlt sich eindeutig und ohne jeden Zweifel lebendig, ohne dass es zum Beweis dessen einer neutralen Untersuchung bedurft hätte. Resultierend aus der offensichtlichen Annäherung seiner Schlafstatt an den oberen Treppenabsatz, beschleichen ihn jedoch Bedenken hinsichtlich des Grades zukünftiger Lebendigkeit: Wo sich etwas neigt, da kann etwas fallen, und wenn etwas fällt, kann es brechen und wo aufgrund der Neigung – oder Neigungen, wie immer Sie es nennen möchten – eines Bettes jemand fällt und wenn nun dieser jemand, dem das Bett nicht geneigt ist, fällt und bricht ein Teil von ihm und es ist ein ungünstiger Teil im Hinblick auf die Lebendigkeit, so trifft es den Falschen, nicht weil es immer die Falschen trifft, sondern, weil es ihn treffen muss, wenn es denn überhaupt eintritt, da sich sonst niemand in einem Bett befindet, das zur unkontrollierbaren Bewegung neigt, und rein subjektiv steht doch der eigene Tod dem Überleben in ausschließender Weise entgegen, sodass der Tote, dessen Ziel das Überleben war, aus seiner Sicht der falsche Tote ist.

„Und woher wissen wir, dass sein Bett das einzige ist, das sich bewegt, ohne dass der Insasse es steuert?“

„Der Begriff des Insassen gefällt mir schon mal ganz gut, aber die Frage an sich ist unsinnig. Haben Sie jemals von Fällen selbstfahrender Betten gehört?“

„Nein“

„Sehen Sie. Und selbst wenn, könnte man derartige Nachrichten als Lüge bezeichnen, ohne fürchten zu müssen, niemand würde einem glauben. Ganz im Gegenteil: Alle glauben nur zu gern, dass kein Bett selbstständig herum fährt. Wie groß wäre sonst die Angst, es könne den Falschen treffen?“

„Sie haben recht. Ich würde mich nicht einmal mehr ins Schlafzimmer trauen, wüsste ich, dass rein theoretisch die Möglichkeit besteht, mein Bett führe los. Ich brauchte nicht mal drin liegen; es könnte mich auch einfach so überfahren.“

„Sie sollten weniger über den Tod nachdenken.“