Sonderbar
Wie ein alter Mann seine Nachtmütze verlor. Teil 3

Eine abgefahrene Bettgeschichte über die seltsamen Erlebnisse eines alten Mannes. Teil 3. Von Norman Weitemeier.

Das Bett fährt weiter auf die Tür zu.

Der rechte Bettvorhang bleibt an einem Nagel hängen, der aus der Wand steht. Ein Stück reißt ab.

Der alte Mann ist froh, dass das erst jetzt passiert, denn sonst hätte er damals die Vorhänge nicht vollständig zuziehen können und sich wahrscheinlich nie wieder getraut, die Augen zu öffnen.

Ihm fällt ein, dass vor dieser einmaligen Notwendigkeit, das Bett zu verbergen, nicht die Möglichkeit bestanden hatte, an diesem Nagel hängen zu bleiben. Das Bild, das dort gehangen hatte, hatte seine Frau nach der Trennung mitgenommen. Sie hatten sich gestritten, während sie ihre Bilder abnahm. Er kann es sich noch genau vor Augen rufen und sie vor sich sehen.

Er wünscht sich, er hätte damals die Augen geschlossen. „Du bist viel zu weltfremd“, hatte sie gesagt, „Du nimmst alles auf so unvorstellbar falsche Weise ernst. Ich weiß gar nicht, wieso: Du bist doch der erfolgreiche Skandalreporter, der überall die unangenehmsten schwachsinnigen Lebenswirrungen irgendwelcher Prominenter aufdeckt … Ich liebe dich. Aber nicht jetzt. Jetzt bist Du wie das falsche Bild vom schönen Motiv.“

Er trennte in seinem Leben immer alles sehr gut: Beruf und Privatleben, Alltag und Liebe und schließlich auch seine Ehe. Danach gab es nur noch Müll zu trennen.

Oft hatte er neue Bilder kaufen wollen, aber es schien keine schönen Bilder mehr zu geben. Er hat es irgendwann aufgegeben. Inzwischen sind die Stellen an den Wänden nicht mehr heller; nur die Nägel erinnern noch daran.

Jetzt hat ein solches Relikt seinen Bettvorhang zerstört und es für den Alten damit unmöglich gemacht, jemals wieder eine Frau oder Freundin zu haben. Zu groß ist seine Angst vor endgültiger, ewiger Blindheit.

Ihm kommt der Gedanke, es könne vielleicht doch funktionieren, denn im äußersten Notfall kann er sich die Schlafmütze bis über die Augen ziehen und von innen ansehen; er wäre nicht blind. Ein bisschen Licht würde durchkommen. Allerdings müsste er dann die Mütze dauerhaft tragen und welche Frau würde ihn so schon haben wollen?

Noch zwei Sekunden bis zur Tür. Der alte Mann macht sich auf die drohende Kollision von Bett und Türpfosten gefasst. Er bohrt seine Fingernägel in den Stoff der Schlafmütze.

Erschrocken reißt er die Augen auf, als das Bett durch die Tür passt. Auf beiden Seiten wäre noch Platz für einen Stapel Kuchenteller. Augen zu, Vorhänge zu – es geht nicht; der echte Vorhang ist zerrissen.

Er hat in seiner Panik die Nachtmütze losgelassen.

Augen auf: Wo ist die Mütze?! Nicht auffindbar. Wieso passt das Bett plötzlich durch die Tür? Es hatte nie gepasst …

Er bemerkt, dass beide Türflügel geöffnet sind. Als er das Haus gekauft und renoviert hatte, hatte ein der Handwerker gesagt, die eine Türhälfte könne man nicht öffnen, irreparabel. Es geht offensichtlich doch.

Der Handwerker war im gleich seltsam vorgekommen. Morgen wird er sich beschweren, falls er bis dahin wieder zurück ist.

Wohin sein Bett fährt, ist ihm jetzt egal, denn er freut sich: Ein lang gehegter Verdacht hat sich bestätigt. Er fühlt sich wie in alten Zeiten als Pseudo-Journalist.

Er hat wieder recht; er ist glücklich.

Sein Bett fährt weiter.

Wird fortgesetzt.