Sonderbar
Wie ein alter Mann seine Nachtmütze verlor. Teil 2

Eine abgefahrene Bettgeschichte über die seltsamen Erlebnisse eines alten Mannes. Teil 2. Von Norman Weitemeier.

Das Bett bewegt sich auf die Wand zu. Er fragt sich, wohin es fahren wird. Durch die Tür passt es nicht. Er kann sich nicht vorstellen, mit dem Bett durch die Wand zu fahren. Er will wissen, wo es lang geht.

„Woher wussten wir eben, dass er sich selbst nicht fliegend vorstellen kann, wenn er den entsprechenden Gedankengang nicht gedacht hat?“

„Das ist ganz einfach. Der Unterschied dazwischen, sich selbst in Gedanken nicht fliegend vor sich sehen zu können und sich nicht vorstellen zu können, mit dem Bett durch die Wand zu fahren, ist nicht groß. In beiden Fällen bedarf es zu deren tatsächlicher Durchführung der Beugung von Naturgesetzen.“

„Klar.“

Klar? Er kann diesen Dialog eh nicht hören, der wird nämlich nicht geführt. Er könnte ihn sich aber vorstellen und würde anschließend fragen, wie er darauf bloß gekommen ist.

Er krallt sich nachwievor an seiner Schlafmütze fest.

Der alte Mann trifft eine Entscheidung: Er wird auch den Weg, den das Bett einschlägt, einfach hinnehmen, bis er ein Zeichen für Logik entdeckt.

Plötzlich lässt seine rechte Hand die Mütze los und fuchtelt wild herum. Die Hand versucht, den flatternden Bettvorhang zu erhaschen, kriegt ihn aber nicht zu fassen. Das ist dem Mann peinlich, im eigenen Bett vergeblich nach dem Vorhang zu schnappen. Dabei fällt ihm auf, dass er das gar nicht tun muss; es war eine Art Reflex. Das erinnert ihn wieder an die Mütze.

Jetzt denkt er den bisher ungedachten Gedanken. Die Landschaft, über die er flöge, ist ganz leicht hügelig. Unter ihm liegt ein See. Wie wäre es, wenn er als Dunstwolke nicht aus seinem Schlafzimmer, sondern diesem See aufgestiegen wäre? Offensichtlich ist es warm. Sonst stiege aus dem See nicht Wasser in solchen Mengen auf, dass man es mit einem alten Mann vergleichen könnte. Die Landschaft gefällt ihm; er hat sie sich ja auch selbst vorgestellt …

Das Fußende des Bettes ist nur noch wenige Zentimeter von der Wand entfernt. Niemand hat mit der Wand über Naturgesetze verhandelt. Der Alte ahnt, dass gleich noch mehr passieren wird, was er nicht versteht, wobei ihm schon die Bewegung des Bettes an sich ein Rätsel ist. Deshalb schließt er die Augen; er will nichts sehen, von dem er weiß, dass es nicht möglich ist.

Genau so war es auch damals mit seiner Frau: Mit geschlossenen Augen – denn in seinem Haus findet er sich blind zurecht – war er vorwärts gestürmt und hatte die Bettvorhange geschlossen, ehe er mit großer Vorsicht die Lider wieder zu heben wagte, sicher, nun das nicht mehr sehen zu können und ansehen zu müssen, was er nicht für möglich gehalten hatte.

Naturgesetze. Gleich würde alles vorbei sein, jeder Sinn des Geschehens verloren. Nicht mal ein Bild könnte noch vernünftig hängen, kein Apfel mehr begründet vom Baum fallen. „Oh Ihr großen vergangenen Wissenschaftler!“, denkt der alte Mann, „Sähet Ihr dieses Bett, euch würden vor Schreck die Professorentitel aus den Grabsteinen fallen. Denn den Unsinn, den Widersinn, den ganzen Wahnsinn des Geschehens selbst, den kann man nicht berechnen, nicht vorhersehen. Hätte ich das gewusst, was hier geschieht, hätte ich heute doch Mittagsschlaf gemacht.“

Fast rutscht der Alte von seiner Matratze, als das Bett scharf links abbiegt und nah an der Wand auf die nun gerade vor ihm liegende Tür zusteuert, wie der Mann sieht, als er zögerlich die Augen einen Spaltbreit öffnet.

„Handelte es sich hierbei um einen Film, meine Damen und Herren, so würde höchstwahrscheinlich zunächst nur ein Auge öffnen. Das wirkt besser. Wissen Sie, warum?“

„Nein. Warum denn?“

„Sehen Sie, ich weiß es auch nicht. Möglicherweise ist es ja auch nur Unsinn so wie der ganze Mann. Schauen Sie sich doch diese vollkommen lächerliche Gestalt mal an; mit diesem verzweifelten Festhalten an der altmodischen Kopfbedeckung!“

„Wolle Sie damit sagen, die gesamte Person ist zu unmodern, um in der heutigen Zeit den Sinn zu sehen?“

„Möchten Sie mit dieser Frage ganz nebenbei und unbemerkt andeuten, der hier zwischendurch angeklungene Ehebruch, ja die vorauszusetzende Affäre, sei ein Phänomen der Moderne?“

Gegenfragen gelten als unhöflich.

„War es also wirklich eine Affäre? Ich hatte mit etwas Unerwartetem gerechnet.“

Wird fortgesetzt.