So weit wie möglich weg von hier
Von Europa nach Melbourne – Holocaust-Überlebende erzählen

Was verursacht mehr Beklemmungen, mehr Entsetzen, mehr Gänsehaut und immer wieder die bohrende Frage nach dem Warum?

Sind es in Zahlen ausgedrückte Mitteilungen darüber, wie viele jüdische Menschen während der Zeit des Faschismus verfolgt und gedemütigt, in Konzentrationslager verschleppt und dort auf das Unmenschlichste gequält wurden? Oder sind es Berichte von Überlebenden? Es sind diese Erinnerungen Einzelner, die heute dafür sorgen, dass das unaussprechliche Leiden jeweils ein individuelles Gesicht erhält.

Dr. Hannah Mika, 1955 in Magdeburg geboren, studierte Psychologie und lebte von 2003 bis 2010 in Australien, wo sie u.a. im Jewish Holocaust Centre Melbourne arbeitete. Während dieser Tätigkeit lernte sie jüdische Frauen und Männer kennen, polnische, litauische, ungarische, tschechische und deutsche Juden, die den 2. Weltkrieg überlebt haben und nach Australien auswanderten. Jedes Einzelschicksal, das die Autorin im Gespräch mit ihnen aufgezeichnet hat, ist ergreifend und individuell, aber alle einte nach dem Überleben des Grauens nur ein Bestreben: So weit wie möglich weg von hier.

Hannah Mika hat nicht nur die Lebensläufe notiert und zusammen mit zur Verfügung gestellten privaten Fotos veröffentlicht. Sie gibt ihren Lesern einen präzisen historischen Einblick in die Geschehnisse. Hier einige Kapitel, in die  sie die Einzelschicksale einfügt, als Beispiele: Die Verfolgung der Juden im Deutschen Reich: Von Dresden nach Theresienstadt, Polen: Die Tragödie einer Nation, Die Konzentrationslager: Machtinstrument der Nationalsozialisten, Die Verwundbarsten unter den Opfern: Kinder im Holocaust, Mit falschem Namen und im Versteck: Überleben in der Illegalität. Und sie hat aufgeschrieben, wie die Menschen, die sich ihr Jahrzehnte nach den Ereignissen anvertraut haben, ihren Alltag erlebt haben.

Das Buch ist keine Entspannungslektüre zum Feierabend nach einem anspruchsvollen Arbeitstag. Ebenso wenig taugt es im Urlaub als „Handgepäck“ fürs Strandlaken. Aber Bücher müssen nicht immer nur Freude bereiten und das Gefühl vermitteln: Ist ja alles gar nicht so schlimm, das hat sich der Autor nur ausgedacht.

Bücher sollen auch die Augen öffnen über Gewesenes; über Dinge, die sich zugetragen haben, grausam, brutal, realistisch.

„So weit wie möglich weg von hier“ ist eine besondere Geschichtslektion für Nachgeborene. Pädagogen mögen sich dafür entscheiden, wenn sie ihren Literatur- oder  Geschichtsunterricht in den höheren Schulklassen vorbereiten und sie mögen es ihren Schülern empfehlen.

Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister a.D., zitiert in diesem Buch den  ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss: „Ohne Kenntnis der Vergangenheit verstehen wir schwerlich die Probleme der Gegenwart und können keine Verantwortung für die Zukunft übernehmen.“

Die Autorin stellt zwei Sätze von Max Mannheimer, Jahrgang 1920, jüdischer Überlebender des Holocaust, an den Anfang ihres Buches. Zwei Sätze nur, doch die gehen unter die Haut; sind Aufforderung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, selbst wenn das nicht immer einfach ist: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dafür, dass es nicht wieder geschieht – dafür schon.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Christine Bose,
Dipl.-Journalistin

 

Hannah Miska
So weit wie möglich weg von hier
Von Europa nach Melbourne – Holocaust-Überlebende erzählen
488 Seiten, Br. 135 x 210 mm, mit s/w-Abb.
ISBN: 978-3-95462-292-4
Preis: 19,95 Euro
mdv – Mitteldeutscher Verlag

 

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