Schule – und was dann?
Teil 1 - Probleme bei der Berufswahl

Vielen Schülern fällt die Antwort auf diese Frage schwer. Es ist eine Tatsache, dass anstelle des reibungslosen Übergangs eine Kluft zwischen Schule und dem folgenden Lebensabschnitt getreten ist, in die so mancher Schulabgänger droht abzustürzen. Woran es liegt, dass der Übergang eine solche Herausforderung geworden ist, mit der so viele Schüler und Schulabgänger zu kämpfen haben, das wird in diesem Beitrag thematisiert. In einem zweiten Beitrag wird dann vorgestellt, was man in einer solchen Situation tun kann, um sich zu orientieren und handlungsfähig zu bleiben.

Doch zunächst die Gründe dafür, warum diese Übergangsphase so problematisch und zäh sein kann: Wie jeder Übergang von einem Lebensabschnitt zum anderen, so kann auch der am Ende der Schulzeit für Orientierungslosigkeit und Verunsicherung sorgen. Das Gewohnte und Altvertraute wird bald verlassen und gilt nicht mehr; das Neue ist noch nicht da und muss erst identifiziert werden. Entscheidungen müssen getroffen werden, mit denen es der Schulabgänger bisher noch nicht zu tun hatte. Im Gegensatz zu früher kommt die schwierige Arbeitsmarktlage und Ausbildungssituation hinzu, die die individuelle Entscheidung erschwert.

Von der Schule wird das Orientieren auf Studium oder Berufhäufig vernachlässigt. Im  Unterricht kommt es zu kurz, weil viele Lehrer dafür nicht qualifiziert sind. Der Orientierungsbedarf bei den Schülern ist jedoch entsprechend groß. Das gilt bereits für die Vermittlung von allgemeinem Wissen über die Entwicklungen in der Arbeitswelt. Themen wie der technologische Fortschritt, die Globalisierung und ihre Folgen sowie die Chancen und Risiken der Umbrüche in der Arbeitswelt gehören auf den Stundenplan. So würden die Jugendlichen in die Lage versetzt werden, sich grundsätzlich zu der Welt ins Verhältnis setzen zu können, in die sie nach der Schule entlassen werden.

Das gilt aber noch mehr für die nachschulische Orientierung im engeren Sinne: wenn man sich vergegenwärtigt, dass es hunderte an Ausbildungsberufen und ebenso mehrere hundert Studiengänge gibt – wie soll ein Jugendlicher aus diesem Meer an Möglichkeiten ohne Hilfe das für ihn richtige finden?

Ausbildung und Studium bedürfen anderer Fähigkeiten als Schule. Eigeninitiative,  Unternehmensgeist, Entscheidungsfreude, Problemlösungsdenken sowie Wissen um die  eigenen Stärken gehören dazu. Oft werden diese im Laufe der Schulzeit nicht vermittelt, weil sich niemand dafür verantwortlich fühlt. Dann sind Schwierigkeiten im neuen Lebensabschnitt vorprogrammiert.

Eltern spielen nach wie vor eine große Rolle bei der Studien- und Berufsorientierung ihrer Kinder. Was aber ist, wenn sie dieser Rolle nicht gerecht werden können? Wenn die Eltern nicht die Wünsche der Kinder unterstützen, sondern ihre Vorstellungen auf die Kinder projezieren? Wollen die Eltern bestimmen, was ihre Kinder werden sollen, dann gerät der Jugendliche leicht in einen Entscheidungskonflikt, der zu seinen Ungunsten ausgehen mag. Oder die Eltern sind selbst überfordert, weil sie im traditionellen Sinne ihrem Kind keinen Rat mehr geben können. Dann werden sie mehr schlecht als recht ihre Kinder unterstützen.

Die Umbrüche in der Arbeitswelt lassen keinen Stein auf dem anderen. Diese machen auch vor Studium und Ausbildung nicht halt: So kommen neue Berufsbilder hinzu, alte verschwinden und die meisten ändern sich inhaltlich. Diese Veränderungen bedeuten einen erhöhten Orientierungs- und Informationsbedarf, der in der beruflichen Vorbereitung zu leisten ist. Bleibt diese aus, so kommt es zu Fehlentwicklungen. Zum Beispiel: Jahr für Jahr werden mehr als 20 % aller Ausbildungsverhältnisse abgebrochen, vor allem deshalb, weil sich die Schulabgänger für einen falschen Ausbildungsberuf entschieden haben.

Häufig wird im schulischen Umfeld von »Berufswahl« gesprochen und davon ausgegangen, dass der Schüler seinen Ausbildungsberuf wählt und dann auch ausübt. Davon kann aber immer weniger die Rede sein, denn die Wahl des Berufes istfaktisch stark eingeschränkt. Denn eine Wahl setzt voraus, dass es genügend Ausbildungsplätze für alle Bewerber gibt. Das ist aber schon lange nicht mehr der Fall. Für viele Schüler bleibt ihre Wahl folgenlos. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Wahl, angesichts der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt nicht mehr bei den Jugendlichen liegt, sondern bei den Arbeitgebern. Sie suchen sich aus der Flut der Bewerbungen die besten aus. Sie haben sozusagen die Qual der Wahl. Weil dem so ist, ist schon längst bei vielen Schülern an die Stelle der Berufswahl die reine Anpassung an den Ausbildungsmarkt getreten. Man ist bereit, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, die Stelle zu nehmen, die man angeboten kriegt, wenn man eine angeboten bekommt. Damit wird immer weniger Rücksicht auf die persönlichen Bedürfnisse genommen, was sich an anderer Stelle rächt. Daraus folgt, dass das Konzept der Berufswahl aufzugeben ist zugunsten einer Befähigung für Ausbildung in Zeiten von Arbeitslosigkeit und knappen Stellen.

Der einzelne Schulabgänger kümmert sich angesichts dieser Situation zu wenig um seine berufliche Zukunft. Berufsorientierung hat was Langweiliges und Zähes an sich, viel lieber  beschäftigt man sich mit was angenehmeren. So mancher Schüler verbringt mehr Zeit damit, über Freizeit und Hobby nachzudenken als über das, was er nach der Schule machen will. Das Ende der Schulzeit wird dann hektisch und chaotisch, weil man wahllos zig Bewerbungen verschickt. Man ist froh über jedes Angebot, das sich einem bietet; man schaut nur noch, dass man irgendwie unterkommt. Das ist zwar verständlich, ist aber die reinste Selbstaufgabe: die eigenen Interessen und Wünsche werden hinten an gestellt bzw. aufgegeben. Die entscheidende Frage, ob man das wirklich tun will, wird nicht mehr gestellt.

Deshalb muss die Studiums- und Berufsorientierung genau diese und andere Fragen dem Schulabgänger stellen und sie mit ihm gemeinsam beantworten: Was will ich später tun? Was will ich in meinem Berufsleben erreichen? Welches Studium bzw. welcher Beruf  passt zu mir? Wie kann ich das umsetzen?

Wie das gehen kann, das erfahrt ihr in Teil 2.

Unser Autor:
Günter Thoma arbeitet für die Deutsche BP Stiftung, die Projekte gegen Jugendarbeitslosigkeit in NRW unterstützt. Daneben führt er Berufsorientierungsseminare für Studenten, Schüler und Eltern durch.

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in:
JiM – Das Magazin, Ausgabe 28, April 2010.