Rundum nachgefragt
Interview mit einem Füller

Nach dem Vorbild des Satiremagazins „Thüringer Allgemeine“ stehen uns in der Rubrik „Rundum nachgefragt“ alltägliche Utensilien Rede und Antwort.

Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview mit uns genommen haben. Fangen wir gleich an. Wie war Ihre Kindheit?

Wunderschön. Ich komme ursprünglich aus Italien. Dort erblickte ich in meiner Heimatfabrik das Licht der Welt. Ich wurde in meine Lieblingsfarben gekleidet, die Grundfarben und Grün. Mit den besten meiner Art durfte ich meine Zeit verbringen. Es war herrlich.

Wie ging es danach weiter?

Tja, wir unternahmen dann gemeinsam eine Reise. Von überall her sandten wir Postkarten, schrieben sozusagen unsere eigene Geschichte. Wir wurden immer weniger. Schließlich gab es nur noch acht von uns. Und plötzlich war ich dann allein. Ehe ich mich versah, piepte es und ich landete in einem knisternden weißen Behältnis. Das war kurz bevor ich zu Ihnen kam.

War das Ihr schlimmstes Erlebnis?

Ach ja, mein Schicksal nahm damals eine schlimme Wendung. Das war mit Abstand das schrecklichste. Ich verlor alles: meine Freunde, meine Heimat, sogar meinen größten Traum.
Ich wollte nämlich immer etwas Bedeutendes machen. Ich wollte der Stift eines Wissenschaftlers sein. Das wichtigste Utensil, um die Welt zu verbessern. Ich wollte Formeln aufschreiben und Rechnungen notieren.
Stattdessen bin ich bei so einem Vollpfosten wie Ihnen gelandet. Es ist so frustrierend!

Entschuldigung, aber Sie waren ein Geschenk meiner Mutter…

Natürlich bin ich ein Geschenk! Meine Schrift ist die Schönste! Ich mache jede Sauklaue zur Kalligraphie, auch inhaltlich. Hätten Ihre sinnbefreiten Texte so einen Erfolg, wenn ich sie nicht niedergeschrieben hätte? Mitnichten!

Jetzt werden Sie aber beleidigend.

Ich dürste nach Anerkennung, die sie Sie mir nicht zollen! Ich möchte nicht mehr nur eine Marionette sein.
Sie zum Beispiel bekleben mich einfach einen Aufkleber mit der Aufschrift „Kein Sex mit Nazis“, ohne zu fragen, ob mir das gefällt. Ich muss es akzeptieren. Was maßen Sie sich eigentlich an?

Also ich fand, das verleiht Ihnen einen ganz neuen Stil.

Sie haben keine  Ahnung von Stil, Sie Kretin! Anstand und Etikette sind bei Ihnen auf der Strecke geblieben!
Im Übrigen ist es auch eine Frechheit, dass Sie mich auch noch während dieses Interviews benutzen und nicht einen anderen Stift!

Ich glaube, es wäre besser, das Interview an dieser Stelle zu beenden. Gibt es noch etwas, dass Sie unseren Lesern sagen wollen?

Vive la Résistance! Büroartikel aller Länder, vereinigt euch! Wir müssen endlich anfangen, uns zu wehren. Das Maß ist endgültig voll. Wir holen uns jetzt unseren rechtmäßigen Platz an der Spitze der Evolution.

Text und Foto: Eva Stützer