Rundum nachgefragt
Interview mit einer Armbanduhr

Nach dem Vorbild des Satiremagazins „Thüringer Allgemeine“ stehen uns in der Rubrik „Rundum nachgefragt“ alltägliche Utensilien Rede und Antwort.

Ich freue mich, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

Das ist schon einmal das erste Missverständnis. Ich nehme mir nie mehr Zeit, als mir zusteht. 60 Sekunden in der Minute, 60 Minuten in der Stunde, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.

Verstehe, trotzdem vielen Dank, dass wir mit Ihnen sprechen dürfen.

Was das anbetrifft, habe ich so meine Bedenken. Jemand, der mit Armbanduhren spricht, kann eigentlich nicht ganz richtig im Kopf sein.

Wollen Sie damit sagen, ich ticke nicht ganz richtig?

NATÜRLICH! Etwas Kreativeres fällt Ihnen nicht ein, Herr Reporter?! Jeder, wirklich jeder Mensch, ob tot, lebendig, oder noch nicht geboren, kennt diesen alten Witz. Er wurde schon in der Antike erzählt, obwohl es da noch gar keine Uhren gab! Peter Henlein würde im Grab rotieren…

Bitte, bitte, beruhigen Sie sich. Ich war nur etwas erstaunt. Der Sinn dieses Interviews ist es doch, Alltagsgegenstände zu interviewen, mit denen normalerweise niemand spricht. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich bewusst sind, wie absurd diese Idee ist.

Nun, ich muss sagen, ich war schon immer klüger als die anderen Uhren. Schon als Kind habe ich die Dinge besser durchschaut als die meisten.

Sie waren den anderen also einen Tick voraus.

Die Uhr schaut schief.
Wenn Sie es so nennen wollen. Ich habe demzufolge ein sehr gutes Abitur abgelegt.

Wie war der weitere Verlauf Ihrer Karriere?

Nun, mein Großvater war eine Standuhr vom alten Schlag. Er sagte, ich solle vor dem Studium einen Handwerksberuf erlernen. So wurde ich Feinmechaniker. Das verbesserte meinen Lebenslauf und meine finanzielle Lage so sehr, dass ich mich an der Uni Nürnberg einschrieb. Schließlich wurde ich also Diplom…

…Uhrologe?

Übertreiben Sie es nicht, Sie verhinderter Asmussen. Ich wurde natürlich Chronologe. Das ist nicht zu verwechseln mit dem Chronisten. Diese armseligen Gestalten haben die Ausbildung nach der Halbzeit abgebrochen.

Und Ihre heutige Tätigkeit besteht worin?

Im weitesten Sinne bin ich Berichterstatter in Bereitschaftsdienst. Ich ermittle die aktuelle Uhrzeit und teile sie meinen Klienten auf Wusch jederzeit mit.

Ein anstrengender Beruf?

Nun, man gewöhnt sich daran. Es ist allerdings nicht jedermanns Sache 24 Stunden am Tag wach zu bleiben, 7 Tage die Woche. Ich trage aber eine große Verantwortung. Wenn ich auch nur eine Sekunde einschlafen würde, wäre die Zeit ungenau. Unvorstellbar, was da alles passieren könnte…

Wie ist Ihr Familienstand, haben Sie einen Ehemann?

Was? Nur weil es DIE Uhr heißt, muss ich automatisch eine Frau sein?! Sie elender, kleingeistiger Sexist. Allein an meinen maskulinen Zeigern aus Messing sieht man doch, dass ich ein Mann bin.
Zugegeben, ein bisschen in die Jahre gekommen…früher war ich einmal sehr stattlich. Mit einem Gehäuse aus rostfreiem Edelstahl… verliert sich in Erinnerungen

Gut, verzeihen Sie. Ihre Frau…

…ist ein sehr freundliches und bodenständiges Armband. Wir lernten uns über unseren letzten Klienten kennen. Dieser empfahl uns weiter, sodass wir nun glücklicherweise am selben Handgelenk arbeiten.

Haben Sie Kinder?

Mein ältester Sohn schlägt hat vor kurzem ebenfalls die Laufbahn des Zeitmessers eingeschlagen.
Meine Tochter, mein kleiner Schmuckstein, kommt eher nach ihrer Mutter. Wenn sie erwachsen ist, wird sie eine wunderschöne Kette abgeben…

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Bitte, bitte. Aber verschwinden Sie jetzt, sie verhinderter Stand-up-Comedian. Sie gehen mir…

…auf den Zeiger?

RAUS!!!

Text: Christian Fichtner
Foto: Norman Weitemeier