Reise nach Mühlhausen
Teil 1: Auf den Spuren des Großvaters

Im Rahmen meines Praktikums beim JiM-Verein, schrieb ich eine Geschichte über eine nicht real existierende, junge Frau, die sich auf Entdeckungsreise nach Mühlhausen begibt. Teil 1: Wo ist die Bibliothek?

Mühlhausen, Tag 1:
Montag, 17.03., 8.30 Uhr

22 Uhr, Sonntagabend – meine Ankunftszeit gestern am Bahnhof. Leider gab es sehr lange Verspätungen in Göttingen und Hannover, deswegen kam ich erst so spät in Mühlhausen an. Falls ich ein weiteres Mal noch mal hierher komme, dann benutze ich eine andere Zugverbindung – nur um sicher zu gehen, natürlich. Ich war so müde und bin im Hotel nur noch ins Bett gefallen, also hatte ich keine Möglichkeit mehr gehabt, meine lange Zugfahrt im Reisebuch festzuhalten.

Vor einer Stunde bin ich schon wach geworden – für mich sehr unwahrscheinlich an normalen Tagen. Aber dieser Tag ist auch nicht normal. Opa hat mir früher immer erzählt, wie sein Leben hier in seiner Heimatstadt Mühlhausen gewesen war. Er konnte so bildhaft erzählen, es macht mich immer noch traurig, dass er nicht mehr da ist. Jetzt endlich habe ich es geschafft, mir selbst ein Bild davon zu machen. Ich will wissen, was damals in der Kriegszeit hier passiert ist und warum Opa dann geflohen ist. Er hat mir von seinem Leben hier erzählt, also bis er Mühlhausen verlassen hat, aber den eigentlichen Grund für seine Flucht leider nicht. Und mir stellt sich dann auch die Frage,warum meine Oma davon nichts wusste. Sonst hätte sie mir das sicherlich erzählt. Vielleicht habe ich ja die Möglichkeit, sie in den nächsten Tagen mal anzurufen.

10.30 Uhr

Ich habe mein Reisebuch natürlich mitgenommen, damit ich alles ganz genau festhalten kann und nun sitze ich hier in der Jakobikirche von Mühlhausen. Warum? Nicht nur weil die Kirche so schön ist, sondern auch weil schon seit vielen Jahren die Stadtbibliothek beherbergt. Sieht total schön aus von innen, denn sie besteht aus einer Mischung aus moderner Architektur und dem älteren Bau der Kirche. Das ist eine total faszinierende Kombination (die Bilder folgen weiter unten). Ich musste mich erst einmal durchfragen, wo sie sich überhaupt befindet. Ein älterer Herr sagte mir dann, sie ist in der Nähe des Lentzeplatzes, noch innerhalb der Stadtmauer. Naja gut. Trotzdem danke. Es ist nämlich nicht ganz so leicht, in einer Stadt mit 13 Kirchen eine Kirche mit zwei Türmen zu finden. Von denen gibt es hier nicht nur eine. Aber ich habe es dann doch noch geschafft, durch ein paar weitere Befragungen, die Kirche zu finden. Von der netten Bibliothekarin habe ich erfahren, dass die beiden Türme der Kirche in den 90er Jahren restauriert wurden und dass sie überhaupt erstmalig 1296 erwähnt wurde. Das ist so schön hier zu sitzen, in vollkommener Ruhe, also da bekommt richtig Lust auf weitere Attraktionen hier in der Stadt.

Die Bibliothek bietet natürlich die besten Bedingungen, denn hier gibt es alle Bücher von den unterschiedlichsten Epochen. Und da wäre es ja fatal wenn ich das nicht nutze. Ich habe im Computer nachgeschaut und in der geschichtlichen Abteilung von Mühlhausen ein paar Bücher gefunden. Eines über das Leben in Mühlhausen in der Zeit von 1939-45 (auch eines aus dieser Zeit, wo die größten Geschäfte von Familien aus Mühlhausen beschrieben sind und „ihr Leben mit dem Krieg“, wie es dort geschrieben steht) und eines über eine jüdische Familie, die hier gelebt hatte. Ich habe mir auch ein Sachbuch herausgesucht über alle Sehenswürdigkeiten, als kleiner Reiseführer. Ich denke, ich fange mal an, ein bisschen zu lesen. Für heute habe ich nichts anderes mehr vor und dann habe ich vielleicht auch ein paar mehr Anhaltspunkte für die weiteren Tage. Doch ich bin da recht zuversichtlich. Vielleicht sollte ich vorher mal schauen, wie lange die Bibliothek überhaupt offen hat.

Hier stehe ich im Eingangsbereich der Bibliothek und schaue nach oben in die umgebaute Kirche. Auf den einzelnen Emporen stehen geordnet die jeweiligen Bücher.

Bei sonnigem Wetter werfen die alten Kirchenfenster schöne, bunte Schatten auf den Kirchenboden und die Bücherregale.

Das ist die Kirche von außen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass da drinnen eine so schöne moderne Bibliothek untergebracht ist. Heute morgen dachte ich, ich wäre an einer falschen Adresse.

19.30 Uhr

Vor zwei Stunden bin ich erst nach Hause gekommen. Ich hatte die Zeit so vergessen, dass es draußen schon langsam dämmerte. War ja auch nicht schlimm und die Bücher waren sehr interessant. Am besten war das Buch von der jüdischen Familie. Ein Spruch von dem Familienvater war ungefähr der Gleiche, wie ihn mein Opa immer zu mir sagte („Du sollst den Morgen nicht vor dem Abend loben“ –  oder so ungefähr). Vielleicht kannten die beiden sich ja. Ich denke, das bekomme ich auch noch irgendwie heraus. Morgen  möchte ich deswegen mal zu der Synagoge hier in Mühlhausen zu gehen und den jüdischen Friedhof anschauen. Vielleicht habe ich ja Glück und ich treffe jemanden der sehr offen ist und mir etwas erzählen kann. Ich habe mir überlegt, meine Oma in den nächsten Tagen mal anzurufen. Dann kann sie mir noch ein paar Dinge erzählen. Das ist alles so spannend, ich freue mich schon richtig auf die nächsten Tage. Nur darf ich dabei nicht vergessen, mir die Stadt auch einfach so anzuschauen. Ein bisschen chillen darf nämlich auch nicht fehlen, es soll ja auch ein Urlaub sein.

Nina Pfeiffer