Reise nach Mühlhausen
Teil 2: Der Neffe von Herrn Ebbstein

Im Rahmen meines Praktikums beim JiM-Verein, schrieb ich eine Geschichte über eine nicht real existierende, junge Frau, die sich auf Entdeckungsreise nach Mühlhausen begibt. Teil 2: Der Neffe von Herrn Ebbstein.

Mühlhausen, Tag 2
Dienstag, 18.03., 9.00 Uhr:

Einen wunderschönen guten Morgen! Ich bin jetzt schon allerbester Laune, obwohl ich eigentlich ein Morgenmuffel bin und bin schon sehr gespannt auf das, was ich heute so vorhabe.
Ich denke, ich werde jetzt erst mal frühstücken gehen und dann werde ich mich auch gleich losmachen. Obwohl Mühlhausen ein Dorf gegenüber Hamburg ist, läuft man trotzdem eine gute halbe Stunde von der Synagoge zum jüdischen Friedhof. Aber ich habe ja Zeit und deswegen mache ich mir auch keinen Stress.

10.30 Uhr

So, jetzt habe ich einen vollen Magen und habe meine Tasche fertig gepackt. Jetzt mache ich mich auf den Weg zur Synagoge. Das Gute ist, mein Hotel liegt mitten im Zentrum von Mühlhausen und die Synagoge auch fast (sie befindet sich in der Jüdenstraße, irgendwo hier in der Nähe). Also in einer Viertelstunde müsste ich da sein. Ich wäre schon früher da, aber ich wollte noch einen Schlenker machen und am Rathaus vorbeilaufen. Denn ich habe gestern Abend auf dem Stadtplan noch eine kleine Route für heute herausgesucht – ich will mich ja auch hier nicht verlaufen, sicherheitshalber.

Hier ist das Rathaus. Da haben meine Großeltern geheiratet.

12.15 Uhr

Gerade habe ich mir die Synagoge angeschaut und bin wirklich beeindruckt. Sie sieht aus wie ein normales Haus, ich hätte sie fast nicht entdeckt. Denn die eigentliche Synagoge befindet sich im Hinterhof und ist von vorne, also von der Straße aus, nicht als Synagoge zu erkennen. Ich habe auch ein paar interessante Dinge über die Synagoge erfahren. Diese habe ich hier einfach mal aufgelistet: Also erstmalig wurde sie 1380 erwähnt. Am 7. September 1840 wurde der Grundstein der heutigen Synagoge gelegt und die Einweihung erfolgte dann am 6. August 1841. Am 10. November 1938 wurde die Mühlhäuser Synagoge zwar auch geschändet, blieb in ihrer baulichen Substanz aber erhalten, denn wäre sie damals, wie die anderen Synagogen in Deutschland, auch abgebrannt worden, dann hätte die Gefahr bestanden, dass die umliegenden Fachwerkhäuser der Altstadt auch verbrennen würden. Dieses Risiko wollte man einfach nicht eingehen. Ganz verschont wurde sie jedoch trotzdem nicht. Man brannte zwar das Bauwerk nicht ab , dafür aber ihre Einrichtung, nachdem sie schon zerstört wurde.

Heute dienen die Synagoge und das Gemeindehaus als Begegnungsstätte mit Ausstellung und Bibliothek. Wenn ich das hier so aufschreibe, klingt das relativ trocken, aber wenn man dort ist, dann ist das wirklich anders und nicht nur so langweilige Geschichte. Ich bin schon gespannt auf den jüdischen Friedhof. Mal sehen was ich da alles so sehe. Es ist noch relativ warm draußen, also hole ich mir jetzt noch eine Kugel Eis und mache mich dann auf den Weg zum Friedhof.

Das hier ist das Gemeindehaus der Synagoge. Hier würde man nicht vermuten, dass sich dahinter eine Synagoge befindet.

Hier ist die Synagoge von außen. Vor ihr sieht man noch einen kleinen Innenhof der Gemeindehaus und Synagoge miteinander verbindet.

Und das ist die Synagoge von innen.

13.00 Uhr

Ich sitze hier jetzt auf einer Parkbank gleich hinter dem Friedhof. Er befindet sich zwar an einer Hauptstraße (Eisenacher Straße), aber es ist trotzdem total ruhig da. Alles ist voller großer Bäume und dicht bewachsen. Rundherum ist ein kleiner Park (in dem ich gerade sitze) und durch diesen laufe ich dann bestimmt auch wieder zurück ins Stadtzentrum. Ich habe wirklich einen netten und offenen Mann getroffen, der sich um die Pflege des jetzigen geschützten Kulturdenkmals kümmert. Wir haben uns sehr nett unterhalten und er erzählte mir ein paar Fakten über den Friedhof. Also dass er 1872 errichtet wurde und an die ehemalige jüdische Gemeinde erinnert, deren Mitglieder Opfer der Shoa geworden sind. Shoa bedeutet soviel wie der Völkermord von Millionen von Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Irgendwann sind wir dann auf die Stadtbibliothek gekommen und ich erzählte ihm von dem Buch (über die jüdische Familie, bei welcher der Vater den gleichen Spruch sagte wie mein Opa immer). Und wie es der Zufall wollte: Der Familienvater war der Onkel von dem Mann. Also der, der den Friedhof pflegt. Wir unterhielten uns noch weiter und jetzt weiß ich auch den Grund, warum mein Opa fliehen musste. Denn, er und diese jüdische Familie (Familie Ebbstein) waren eng befreundet gewesen. Deshalb hatten Opa und Herr Ebbstein auch den gleichen Spruch. Sie kannten sich schon seit Kindestagen. Und Opa wusste auch, dass Familie Ebbstein jüdisch war. Aber das war ihm egal. Für ihn sehr riskant zur damaligen Zeit. Nun ja, in der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Juden ja verfolgt und da Opa nicht wollte, dass seine Freunde in KZ’s abgeschoben wurden, hatte er ihnen geholfen zu fliehen. Geschafft hatte er es leider nicht. Familie Ebbstein, zur damaligen Zeit das Ehepaar Ebbstein, wurden nach Buchenwald gebracht. Und kamen leider auch nicht wieder. Herr Ebbsteins Bruder und seine Familie hatten es geschafft aus Mühlhausen zu fliehen und übernahmen schon seit der Nachkriegszeit die Pflege des Friedhofs. Heute macht diese Aufgabe der Neffe von Herrn Ebbstein – der nette Mann mit dem ich mich unterhielt. Eine sehr komplizierte Geschichte. Und da Opa sich strafbar machte, wegen Beihilfe zur Flucht von Juden, musste auch er fliehen. Er entschied sich mit Oma gemeinsam nach Hamburg zu gehen. Eine traurige Geschichte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich schon am zweiten Tag meiner Reise die für  mich ungeklärten Dinge löse. Tja, da benötigt man eben nur einen netten Mann, der gerne und viel erzählt und dabei nichts auslässt. Hätte ich wirklich nicht gedacht!

Jetzt mache ich mich erstmal auf den Heimweg. Ich habe nämlich gesehen, dass heute im 3K ( das ist das Theater von Mühlhausen – auch eine umgebaute Kirche) ein neues Stück anläuft und da ich heute Zeit habe, wollte ich da mal vorbeischauen. Anscheinend sind auch noch Karten frei!

Morgen wollte ich mir mal die Marienkirche ansehen, die gehört zu den Wahrzeichen der Stadt. Eventuell gehe ich morgen auch noch mal zum Schwanenteich und zur Popperöder Quelle. Ich hab auf einem Flyer im Hotel gelesen, dass es dort sehr schön sein soll und das will ich mir mal anschauen.

Nina Pfeiffer

Das ist der jüdische Friedhof. Schon auf dem Bild sieht es sehr ruhig aus durch die ganzen Bäume.