Die Liebe ist das Einzige …
Stefan Noltes Buch zum Thema Demenz

Diplompflegepädagoge und Fachwirt für Gesundheit und Soziales Stefan Nolte hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Dessen Untertitel lautet: Demenz ist in erster Linie „eine Herausforderung an die Menschlichkeit“.

Stefan Nolte schrieb das Buch zuallererst für pflegende Angehörige, „welche oft verzweifelt sind“ und für Pflegekräfte, „denen es an Zeit fehlt, den Blickwinkel auf den demenziell veränderten Menschen zu wechseln“. Doch sollten nach Ansicht der Rezensentin noch viel mehr Menschen sich mit dem Buch und überhaupt mit dem Thema Demenz befassen.

Der lateinische Begriff bedeutet „Weg vom Geist, ohne Geist“. Sind nicht auch Jugendliche total überfordert, wenn sie keine Erklärungen mehr dafür haben, warum sich ihre Großeltern, die immer verlässlich für sie da waren, plötzlich so verändern?

Oma wird „tüdelig“, launisch und vergesslich, will sich plötzlich mit ihrer Mutter treffen, die doch  schon lange tot ist. Dann will sie auch noch Hühner füttern, aber sie hat seit vielen Jahren keine mehr. Ihre Tochter, mit der sie immer in Liebe verbunden war, wird plötzlich von der alten Frau scheinbar ohne Grund in einem Wutanfall angeschrieen: „Ich will Sie nicht mehr sehen!“ Opa nervt und langweilt schon zum tausendsten Mal mit seinen Kriegserlebnissen, die keiner mehr hören kann.

Stefan Nolte möchte Verständnis wecken und Möglichkeiten der Kommunikation aufzeigen; er  veröffentlicht Protokolle von Gesprächen, die er selbst mit dementen Menschen geführt hat und auch Aufzeichnungen von Dialogen zwischen Pflegekräften und Pflegeheimbewohnern.

Ein alter Herr, fünfundachtzigjährig und nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzend, schimpft über die Werkstatt, die es immer noch nicht geschafft hat, sein Auto endlich zu reparieren. Mit dem war er – in seinem früheren Leben – sogar in Italien.

Für das, was Außenstehende als ziel- und sinnloses Umherirren im Gang des Pflegeheimes interpretieren, hat ein 95 Jahre alter Heimbewohner eine Erklärung: Er muss jetzt zur Arbeit gehen.

Die inkontinente Siebenundachtzigjährige – sie hatte ihr Leben immer im Griff – beschuldigt die „eklige Kuh von Putzfrau“, den Putzeimer in ihrem Bett ausgekippt zu haben, nur deshalb ist es jetzt so nass.

Und eine 84 Jahre alte Frau fragt die Pflegekraft beim Betreten des Zimmers: „Haben Sie einen Termin?“ Das ist nun völlig verquer, aber auch wiederum nicht, denn sie war schließlich Sekretärin im Rechtsanwaltsbüro.

Es ist emotional sehr bewegend, wenn der Autor jenen Menschen dankt, denen er „begegnen durfte“ und sie als seine „größten Lehrer“ bezeichnet.

Eine sehr interessante Erkenntnis hat er für seine Leser aufgeschrieben: Die Angehörigen meinen es gut, wenn sie den alten Menschen Sätze sagen wie „Du hast Dein Leben lang gearbeitet, das brauchst Du doch gar nicht mehr zu machen; dafür sind wir da; ruh Dich aus, genieße Deinen Ruhestand.“ Diese freundliche Geste der nachfolgenden Generationen kann bei den Alten, die es angeblich verdient haben, sich jetzt zurückzulehnen, die Frage aufwerfen: „Warum lebe ich eigentlich noch? Kein Mensch braucht mich…“

Stefan Nolte erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass bereits in der Schule – und das über Generationen hinweg – die Kinder „trainiert“ werden, etwas zu leisten. Das setzt sich im  Berufsleben fort. Anerkennung und Wertschätzung erhält, wer Leistung bringt. Über Stefan Noltes Frage: „Haben wir in unserer Gesellschaft verlernt, einander Anerkennung zu schulden?“ sollte jeder Leser möglichst lange nachdenken.

Einprägsame Schwarz-Weiß-Fotos hat Stefan Nolte ausgewählt, von betagten und von jungen Menschen, wobei die Bilder aus einer fernen Jugendzeit viele Jahrzehnte alt sind. Den Buchtitel ziert eine Rose auf rissigen Holzplanken – eine sehr ungewöhnliche. Grau und schon ein wenig welk sind ihre Blätter. Aber ihre Blüte ist unversehrt, erstrahlt in einem so wunderschönen Rot, dass es eine Freude ist sie anzuschauen.

Dipl.-Journalistin Christine Bose

Stefan Nolte
Die Liebe ist das Einzige, was ich Dir noch geben kann!
112 Seiten
ISBN 978-3-86944-046-0
Format 16 x 23,5 cm, 104 Seiten, Paperback
23 Abbildungen
Preis: 12,95 EUR
Verlag Mecke Druck Duderstadt 2011
Mecke Druck und Verlag