Dämonopolis
Teil 5: Die Hoffnung kehrt nach Hause zurück

Alte Rätsel werden gelöst und neue Antworten wieder gefunden. Dämonopolis. Ein literarisches Experiment vom Meister der Schwarzen Poesie, Stephan Pitelka. Teil 5 und Schluss.

Es verging eine Weile, bis die verlorenen Seelen heimkehrten. Es war nicht offensichtlich, denn viele vermissten sie scheinbar gar nicht oder konnten sich nicht mehr an sie erinnern.

So auch im Fall des Kindes, welches der Reisende damals mit sich genommen hatte. Die Menschen und vor allem die Frau waren stoisch und abgestumpft ihrem Tagewerk nachgegangen, sie kannten keine Gefühle mehr, existierten nur, statt wirklich zu leben.

Der Dämon hatte sie beraubt und in öder Einsamkeit zurückgelassen.

Aber eines Abends, als die Frau wieder einmal vor dem Kamin saß und starr vor sich hinstierte, klopfte es an der Tür. Zuerst nur zaghaft, dann aber energischer, als wäre sich der Klopfende jetzt erst seiner Sache sicher.

Sie stand auf und ging zur Tür, hielt aber inne. Sie wusste nicht genau, ob sie öffnen sollte. Angst kannte sie nicht mehr, aber denken konnte sie noch und so überlegte sie, wer so spät in der Nacht noch zu ihr wollte.

Sie entschied sich dagegen, die Tür zu öffnen, drehte sich um und wollte schon zurück zum warmen Schein des Feuers als die Tür mit einem Krachen aufflog.

Die Frau fuhr herum. Nun hätte sich Wut und Entrüstung in ihrem Gesicht spiegeln sollen, doch sie war dazu nicht mehr fähig. Als sie jedoch sah, wer da vor ihr stand, durchzuckte sie ein Gefühl, das sie lange nicht mehr gekannt hatte. Ein Gefühl, welches schon vorher auch der Reisende empfunden hatte.

Gerührt hob sie ihr Kind vom Boden hoch, das sie so lange entbehren musste, und als sie es an sich drückte flossen ihr die Tränen aus den Augen und über den Kopf des Kindes. Es war, als erinnerte sie sich all ihres Fühlens und ihrer Gedanken vor dem Besuch des Dämons in ihrem Hause.

Das Kind gluckste vor Freude und umarmte sie ebenfalls stürmisch.

Viele Menschen erinnerten sich danach wieder, wurden wieder Menschen. Viele bezeichneten es als „neues Leben“ und als ein „Geschenk“, welches doch eigentlich jeder von ihnen vorher schon besessen hatte.

Die Antwort war der Mensch selbst, er musste nur die alten Masken abnehmen, damit das wahre Ich zum Vorschein kommen konnte. Denn er selbst beschreitet die Welten und trägt die Antworten in sich, auch wenn es für ihn nicht immer zufriedenstellende Antworten sind.

Ende

2013 by Stephan Pitelka

Titelbild: Kai Grämer