Dämonopolis
Teil 3: Das Orakel und die Erkenntnis

Die Befragung stößt auf Warnungen, doch wie sind diese zu erklären? Dämonopolis. Ein literarisches Experiment vom Meister der Schwarzen Poesie, Stephan Pitelka. Teil 3.

Im Wald befand sich die Zuflucht des Reisenden, in einer alten Ruine, umgeben von hohen Bäumen, dichten Hecken und dornigen Sträuchern. Als er zum ersten Mal das Bündel auswickelte, das ihm die Frau anvertraut hatte, wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Es war ein Kind, ein Säugling, zu klein, um sprechen zu können, zu klein, um verstehen zu können, was mit ihm geschehen war. Und obwohl der Reisende Angst erwartet hatte, wie sie ihm bei seinem Tun fast immer entgegen schlug, so streckte es doch offen seine kleinen Hände nach ihm aus und lächelte ihn an.

Die alte Antwort, das Sammeln von Seelen und deren Gefühlen, war einer neuen gewichen. Er erkannte sie jetzt, so vergaß er jede Vorsicht, nur den neuen Weg im Blick, der sich aus dieser Antwort ergab. Er fasste behutsam die kleinen Hände und es rührte ihn. Dieses Gefühl war das Neue, das Unvorhergesehene, das er geradezu verschlang und bis zur letzten Note auskostete.

Was hatte die Frau gesagt? „Du hast die Hoffnung auf dich genommen!“ Es war seine Hoffnung geworden, da war er sich ganz sicher.

Eine Stimme meldete sich in seinem Inneren. Sie rief. Sie forderte. Eine zweite kam dazu. Dann noch eine. Dann alle. Er musste erst die anderen fragen. Sie, als Teil des Orakels konnten ihm nun den weiteren Weg weisen.

Er setzte das Bündel, welches jetzt sein kostbarster Schatz war, ab und nahm einen kleinen Taschenspiegel zur Hand, den er jederzeit bei sich trug. Er sah hinein und wie so oft spiegelten sich seine Augen und zeigten fast sofort die anderen, die ihn zuvor gerufen hatten. Dämonen, so wie er selbst.

Die erste sprach vorwurfsvoll: „Hast du alle Vorsicht fahren lassen? Hast du nicht die Gefahr erkannt, die in dem kleinen Menschlein steckt? Es wird dein Untergang sein. Wie sollen wir ans Licht der Welt kommen, wenn du schon deinen eigenen Leib nicht beherrschen kannst?“

Bevor er etwas erwidern konnte, sprach die nächste: „Du musst es loswerden! Schnell! Noch heute! Vergiss nicht deinen Auftrag!“ Sofort erklang eine andere, viel lauter als die ersten zwei: „Gib es frei! Bring es zurück!“ Es sprachen immer mehr: “ Bring es zurück!“ Ihm wurde schwindlig. Es schien, als würden sie endlos in seinem Kopf widerhallen. Sie schrien: „Bring es zurück! Bring es zurück!“

Plötzlich ließ ihn der hohe Schrei des Kindes hochschrecken. Der Spiegel entglitt seinen Fingern, die ihm wie blinde Fühler hinterherzuckten. Er zerschellte auf einem großen Stein am Boden der Ruine.

Schnell drehte der Reisende sich nach dem Kind um. Es war ihm, als würde ein verebbender Schrei aus den vielen Scherben des Spiegels an seine Ohren dringen. Doch der Schrei des Kindes war lauter und fordernder. Es reckte weiter seine Hände in die Luft, strampelte wild mit den Beinen. Hatte es Hunger? Oder Durst? All die kleinen Bedürfnisse die die Menschen kannten… Er musste sich sofort darum kümmern, allzumal es sonst die wilden Tiere anlocken würde. Auch wenn er wusste, das sie seine Erscheinung sorgfältig mieden würden, doch bestimmt nicht die des Kindes!

Der Schatz musste in Sicherheit gebracht werden, weit fort von hier, wo er noch größer werden und dem Reisenden als mächtige Waffe dienen konnte.

Da nun die Stimmen in seinem Kopf verhallt waren fiel ihm das Denken wieder leichter. Er raffte alles zusammen und schlug das Bündel wieder zu, so das von seinem Inhalt nur das kleine Gesicht herausschaute. Der Blick des Kindes wollte ihn sofort wieder fesseln, doch er ließ es nicht zu, sondern presste es sanft es an sich

Er verließ den Wald. Seine Gedanken begannen zu kreisen. Er würde es zu einem der ihren machen. Er kannte die Ausbildung. Er hatte sie selbst durchlaufen.

Geschwind schritt er aus. Der Wind vereinigte sich mit dem Geräusch seiner Schritte, so das er bald nicht mehr zu hören war.

Fortsetzung folgt!

2013 by Stephan Pitelka