Beiderseits der Logik
Der Schatten des Menschen

Allseitige Annäherungen an das Leben, den Alltag und andere seltsame Angelegenheiten unter wortreicher Verknüpfung des Sinnes, Unsinnes und anderer Sinne sowie Widersprüche von Menschen und Gedanken.

Ein Mann ging die Straße entlang; dunkel war es und er passte dazu. Eigentlich wurde es erst durch ihn richtig finster, wenn sein Schatten sich lang und schmal über das Pflaster schlich und an Hauswänden empor kletterte, wenn seine Schritte laut und hohl wiederhallten, wenn das Licht der Laternen auf seinen schwarzen Mantel fiel.

Er überholte zwei Gestalten, die laut lachten, Betrunkene, an deren Schritten man nicht erkennen konnte, in welche Richtung sie sich bewegen wollten. Er ging an ihnen vorbei und sie lachten; er ging weiter, sie lachten weiter; er hätte nicht verstanden, worüber sie da lachten und sie sahen ihn gehen und hätten nicht verstanden, weshalb er so ging, so zügig, so zielstrebig – es war doch Nacht, wo sollte man schon derart rasch hin wollen?

Es waren Nächte: die Nacht der Betrunkenen und die Nacht dessen, der sie lachen hörte und dessen Schatten kurz nach ihren Beinen zu schnappen schien. Er eilte weiter, bog um eine Hausecke; die Betrunkenen sahen ihn nicht mehr. War er da gewesen? Sie lachten.

Der Schatten eilte dem Mann voraus bis zum nächsten Licht, ließ sich einholen und wartete ab, streckte sich und eilte schließlich wieder voraus wie einem ein Ruf vorauseilt. Und der Mann eilte und sein Schatten jagte um ihn herum, der Ruf floh und rief nichts und Licht fiel auf den schwarzen Mantel, die Schritte hallten wie aus völliger Leere.

Der Mann war in sich ein Gott, der den Schatten ausschickte; kein Grund, betrunken zu lachen; er hatte die Macht über seine Schritte, deren Geräusch von den Hauswänden zurückgeworfen wurde – er warf sie ihnen zu im Licht, in dem er seinen Schatten warf und die Betrunkenen lachten; er hatte ein Ziel, überquerte eine Straße, in der jemand seinen Hund ausführte und es stank durch die Nacht und die Nacht stank, ein Hauch davon wehte in den Schatten des Eilenden, der seine Haustür fast erreicht hatte – schon war der Schatten bei ihr angelangt und wartete auf den Gott mit dem Schlüssel; doch im Licht der Straßenlaterne sah man, dass nur ein Mann im schwarzen Mantel kam, der in seiner Tasche nach dem Schlüssel suchte und die Tür aufschloss, als er diesen gefunden hatte; das Licht einschaltete: ein neuer Schatten, ein Regal mit Schuhen, eine Garderobe, das Bild von der Landschaft, die überall sein könnte, ein Teppich, an der Wand gegenüber ein Spiegel, in den der Mann blickte, dessen Schatten sich hinter ihm an der zufallenden Tür aufrichtete und gleichsam in den Spiegel zu sehen schien, in den der Mann hätte schreien mögen: Was lässt du mich hier sehen?! Meinen Schatten dergestalt erhoben und selbst das nur dieser Lampe wegen, die auch mich beleuchtet? Wo ist die Macht? Was bist du für ein Mensch, du Mensch, der doch bloß ich gespiegelt ist?

Von: Norman Weitemeier.