Beiderseits der Logik
Und schließlich der Holzwurm

Teil III/IV

Außer dem Wolf ist noch ein Bär gekommen.
Sie werden konkurrieren, sagt Gisbert.
Ja, um unsere Hammel, Hasen und Speisekammern, fügen die Leute hinzu und sie sperren die Dunkelheit aus.
Wolf und Bär begegnen einander.
Der Bär verletzt den Wolf an der Flanke. Der Wolf schafft es, den Bären zu beißen. Der Bär ist wütend; er jagt den Wolf schließlich davon.
Der Wolf ist weg, sagen die Leute, aber der Bär ist noch da; nur verletzt ist er.
Die Zeit heilt alle Wunden – der Sieger.
Dem Bären ist langweilig, nun da der Wolf fortgelaufen ist. Er erschreckt jetzt Waldspaziergänger.
Ein Fest soll es mal wieder geben, sagt man, eines mit Spielmannszügen; und die Jäger in ihren grünen Jacken und mit den geschmückten Hüten sollen durch die Straßen ziehen. Die Leute suchen einen Anlass. Großmutter hat die Socken gestopft.
Gisbert erzählt vom letzten Fest, das es gab: Es war ein großes Volksfest. Sie gingen alle hin, weil jemand gesagt hatte, sie müssten kommen; alle müssten sie kommen. Also gingen sie hin. Und es gab Musik, die sie von weitem schon hörten und dann standen sie da. Sie alle müssten kommen; keiner sollte es verpassen. Alle wollten dabei sein. Also gingen sie hin. Und sie hörten der Musik zu. Die Alten fanden es schön und auch die Kleinen. Und sie sagten den anderen, sie alle müssten kommen. Also gingen sie hin. Und sie standen da und hörten mit kritischen Ohren. Die Alten sagten, es sei so schön, deshalb hatten alle kommen müssen. Die Kleinen glaubten es. Und alle mussten kommen, denn jeder wollte hin und sehen, was passierte. Und was passierte, das gefiel den Alten und auch den Kleinen. Und die anderen standen da und sahen es sich an mit kritischem Blick. Und sie alle waren gekommen, weil es jemand gesagt hatte, dass sie kommen müssten. Sie standen und hörten die Musik und blickten sich um: Viele alte waren da, und viele kleine, doch auch von den anderen einige, die schauten, wer wohl da sei: Alte und Kleine und die Nachbarn dann die Reichen und auch einige Arme, die sahen sich nach den Reichen um, die schauten, wo keine Armen waren. Und welche hatten lange geplant, dass sie kommen würden und andere wieder waren zufällig anwesend. Manche standen auch da und wussten nicht, was passierte. Viele waren begeistert und fröhlich, nicht nur die Alten und Kleinen. Viele wippten im Takt oder sie stampften mit dem Fuß oder aber sie winkten. Und sie sahen den marschierenden Spielmannszügen nach – wie schön die Knöpfe ihrer Uniformen in der Sonne glänzten.
Die Leute fragen: Und aus welchem Anlass sollen wir nun feiern?
Großmutter hat die Socken gestopft, sagt jemand.
Das sei kein guter Anlass, heißt es. Also müsse man den Bären totschießen.
Als Waltraud gesagt hat, sie mag den Bären, war es das erste Mal, dass viele merkten, dass es Waltraud gab. Sie wurde im Geburtenregister ergänzt.
Die Jäger schossen den Bären tot.
Es gibt ein Fest. Man freut sich, dass alle so friedlich miteinander leben. Die Wölfe sind weg; der Bär ist weg; jetzt haben die Leute nur noch Angst vor der Dunkelheit.
An der Fleischtheke fragt jemand nach Waltraud. Wer ist denn Waltraud?
Waltraud, die gestorbene Lebende, hätte besser den Hamster toll finden sollen als den Bären. Der Hamster lebt noch; man hätte ihn bloß suchen müssen, um zu denken: Waltraud, die liegt noch nicht auf dem Friedhof, auf dem Friedhelm liegt – wo denn bloß? Dann hätten sie Friedhelm gesucht und vielleicht noch einen Holzwurm gefunden im Kreuz auf seinem Grab. Das wäre unnötig umständlich gewesen. Lieber eine gestorbene Lebende mehr, als dass plötzlich alle wieder leben. Man muss ja so schon an so viele Menschen denken. Und erst die ganzen Geburtstage. Der Großvater kann sich Daten nur schwer merken. In der Antike, sagt er, muss es schön gewesen sein; da waren wenigstens die Jahreszahlen nicht so lang.

DerHolzwurm4Text und Bilder: Norman Weitemeier