Aus dem Leben des Zivildienstleisters
Buchrezension

Elias Hirschl: „Hundert schwarze Nähmaschinen“

Elias Hirschls neuer Roman „Hundert schwarze Nähmaschinen“ begrüßt einen im Hardcoverformat mit einem schicken roten Bändchen. Ich bin aufgrund der Bekanntschaft mit Elias und seinem letzten Roman „Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss“ bereits sensibilisiert und weiß, dass Titel bei ihm nicht unbedingt viel über den Inhalt aussagen. Wieder einmal erhielt ich auf 336 Seiten ein Überraschungspaket.

Der Roman beginnt mit dem unschlagbaren Satz „Das Selbstmordzimmer ist frisch gestrichen.“ Und führt somit direkt in die Thematik.

Die Hauptperson ist der Zivi, 18 Jahre alt, frisch aus der Schule raus und tritt nun seinen Zivildienst in der WG an. Die WG wird von „Klienten“ bewohnt, von allerlei geschundenen Charakteren, die es in psychiatrischen Einrichtungen wohl immer gibt.
Sein Beruf ist es nun, gemeinsam mit den fest angestellten Pflegern dem Alltag vor Ort eine Struktur zu verleihen und zu unterbinden, dass Feuerwehr, Notarzt und Polizei allzu häufig vorfahren müssen.

Der Zivi ist ein ungewöhnlicher Kerl. Er schreibt ständig sein Notizbuch voll, hat eine Freundin alias „die andere Partei“, nur um mit ihr zu streiten, sucht sich abends in einem Psychologielexikon eine Krankheit aus und analysiert sich selbst hinsichtlich der Symptome. Er „diagnostiziert sich in seine kleinsten Einzelteile“. Genauso durchleuchtet er seine Klienten, beobachtet ihre Verhaltensweisen und versucht, ihre Krankheitsbilder nachzuvollziehen und zu begründen. So ist abzusehen, dass seine psychische Gesundheit auch leiden wird.

Der Zivi fängt an zu rauchen, sogar sehr viel, trinkt und wird auch zu allerhand Psychedelika verleitet. Er lernt in seiner Zeit dort vor allem drei Dinge: „Da kann man noch so oft behaupten, dass psychische Krankheiten nicht ansteckend sind – es stimmt einfach nicht.“
„Keine einzige Bemühung vonseiten der Betreuer führt auch nur die geringste Verbesserung im Krankheitsbild herbei. Alles stagniert.“
Genauso wie es keine schöne Situation ist, wenn man sich zur Unterscheidung zu seinen Klienten nur daran klammert, dass man abends nach Hause gehen darf und sie nicht.

Elias hat die Gabe, aus den unvorhersehbarsten Vorlagen großartige Pointen zu schaffen. Ich bewundere seinen Schreibstil sehr; er ist klar und bescheiden, aber dennoch tiefgründig und schön. Wie er die Paradoxie des Wahnsinns innerhalb der WG mit derjenigen der Außenwelt auf eine so originelle und pointierte Art verknüpft, ist erstaunlich. Zudem zwingt er die Leser geradezu liebevoll, mitzudenken und der Geschichte noch eine ganz persönliche Bedeutungsebene  hinzuzufügen. Trotz der ungewöhnlichen Geschehnisse und vielen Stellen, über die man einfach mal nachdenken muss, lässt sich das Buch flüssig und schnell lesen.

Menschen, die selbst ähnliche Tätigkeiten ausgeführt haben, fühlen sich sicherlich bestätigt und zurückerinnert; wer nicht, der erhält einen fantastischen Einblick in den täglichen Wahnsinn, der auf ähnliche Art und Weise fast überall zu finden ist.

Ich danke für die Rezensionsmöglichkeit!

Elias Hirschl: „Hundert schwarze Nähmaschinen“
Jung und Jung Verlag
2017
Gebundene Ausgabe 24 Euro

Text und Foto: Eva Stützer