Region attraktiver machen
Interview mit Thomas Diwo, von der WI Westthüringen

Ende März erschien das Weißbuch Westthüringen 2020, das von der Wirtschaftsinitiative Westthüringen herausgegeben wurde. In ihm werden erstmals alle wichtigen Zahlen und Fakten zum demografischen Wandel in Westthüringen bis ins Jahr 2020 zusammengetragen. JiM – Das Magazin wollte es genauer wissen und sprach mit Thomas Diwo, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsinitiative Westthüringen e.V.

Geburtenrückgang, Awanderung, Fachkräftemangel, Überalterung, Rückgang der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – Westthüringen blutet aus. Wo sehen Sie die Ursachendafür?
Der demografische Wandel betrifft alle Regionen Deutschlands, die einen mehr die anderen weniger. Die Ursache dafür, daß unsere Region stärker als andere davon betroffen ist, sehe ich in den Brüchen, die wir hier 1989/90 hatten. Durch den Wegzug vieler Menschen, besonders vieler jungen Frauen, entstand eine große Lücke zwischen Geburten und Sterbefällen. Diese wird nicht reversibel sein – zumindest in den nächsten 50 Jahren nicht. Die einzige Möglichkeit die wir haben, ist die weitere Abwanderung die zu verringern. Doch das können wir nur erreichen, wenn wir unsere Region attraktiver machen.

Als eine Hauptursache für die Abwanderung von jungen Talenten und Fachkräften werden immer wieder die niedrigen Löhne in Thüringen genannt.
Untersuchungen, die Aussagen dazu treffen wie stark die Löhne die Abwanderung beeinflussen, gibt es nach meiner Kenntnis nicht. Das Lohngefälle ist sicherlich ein Bestandteil, aber wie groß dieser ist, wissen wir nicht. Ich finde es schade, daß die Politik die Ursachen für die Abwanderung nicht untersucht oder untersuchen läßt.

Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von der Politik?
Ich erwarte von der Politik, dass sie nicht reagiert, sondern agiert. Die finanziellen Spielräume und die demografischen Eckdaten sind bekannt. Doch damit wird viel zu defensiv umgegangen. Ich erwarte von Politik, dass sie sagt: Wir müssen uns verändern und wir wollen uns verändern, damit wir attraktiv sind. Und ich erwarte, dass sie die Gesellschaft auf diesem Weg mitnimmt.

Bildung ist die wichtigste Zukunftsressource der Wirtschaft. Was muss getan werden, um Westthüringen in diesem Bereich voranzubringen?
Ich denke wir müssen auch in diesem Bereich kreativer sein als andere. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir ein besseres Lernen unserer Kinder ermöglichen können. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das lebenslange Lernen besser organisieren können. Wir müssen darüber nachdenken, die Berufsausbildung variabler zu gestalten. Warum kann man nicht ein Kurssystem einrichten, das auf sich gegenseitig ergänzenden Modulen basiert, die entsprechend des realen Bedarfs vermittelt werden? So kann auch eine Überforderung von Auszubildenden vermieden werden, die bisher bestimmte Basisqualifikationen nicht erfüllen. Wie gesagt, wir müssen einfach kreativer sein, als die anderen!

Die Wirtschaftsinitiative will eine stärkere Identifikation der Bewohner mit der Region bewirken, um so nachhaltige Impulse für das Hierbleiben und den Zuzug zu schaffen. Wie soll das geschehen?
Wir haben eine wunderschöne Landschaft und Kultur satt. Daraus müssen wir mehr machen! Dazu müssen wir uns vernetzen. Regionen entstehen dadurch, dass Menschen miteinander reden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das in unserer Region nicht passiert. Ein Beispiel: Ich glaube es gibt in Westthüringen zwölf unterschiedliche Stellen, die sich mit Wirtschafts- und/oder Tourismusförderung beschäftigen und die nicht miteinander sprechen. Wir haben vorgeschlagen eine Genossenschaft zu gründen – eine urdemokratische Form, in der jeder das gleiche Stimmrecht hat – um diese Aktivitäten zu bündeln und so aus dieser Kleinteiligkeit eine Schlagkraft zu bilden, die viel mehr bewegen kann, als jede dieser Stellen für sich alleine. Bis jetzt haben wir dazu noch keine Rückmeldungen bekommen. Wir müssen es aber schaffen diese Kleinteiligkeit zu überwinden, sonst werden wir Schiffbruch erleiden.

Sie wollen auch die junge Generation in die Diskussion einbeziehen.
Selbstverständlich. Allerdings scheint das bei den Betroffenen noch nicht angekommen zu sein. Zur Vorstellung des Weißbuches haben wir neben Unternehmern, Politikern und gesellschaftlich engagierten Bürgern auch Schulleiter, Lehrer, Schülersprecher und Jugendvereine eingeladen. Doch von diesen ist kaum jemand erschienen. Wir wollen eine breitangelegte Diskussion anregen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass wir die die Lösungen für die Probleme bereits kennen. Dazu sind auch die jungen Menschen herzlich eingeladen.

Was bewegt Sie persönlich, sich so für die Region zu engagieren?
Ich bin mit meiner Frau vor 15 Jahren hierher gezogen. Das ist unsere Heimat, unsere Zukunft. Ich glaube wir leben in einer genialen Region und finde es ganz normal, sich für etwas einzusetzen und sich zu engagieren. Einfach weil ich hier lebe. Und weil es mir Spaß macht.

Was denken Sie, wie sich die Region Westthüringen bis ins Jahr 2020 entwickelt hat?
Wenn wir unsere Hausaufgaben machen und heute Zukunft gestalten, ist Westthüringen 2020 eine lebenswerte und prosperierende Region. Daran glaube ich.

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in:
JiM – Das Magazin, Ausgabe 29, Juni 2010.